Abraham a Sancta Clara

Gunter Haug

(Artikel aus: "Im Schatten eines Denkmals." Geschichte und Geschichten des Geburtsortes von Abraham a Sancta Clara. Kreenheinstetten 793 - 1993. Herausgeg. von der Gemeinde Leibertingen, Tuttlingen 1993 S. 41-52.)
 
Auf den folgenden Seiten soll vom "größten Sohn Kreenheinstettens" die Rede sein: von Johann Ulrich Megerle, der als Abraham a Sancta Clara in die Geschichte Wiens im 17. Jahrhundert eingegangen ist. Es handelt sich um einen Menschen, der zu seiner Zeit berühmt war, der von vielen Zeitgenossen aber auch gefürchtet wurde. Bis auf den heutigen Tag ist man in Kreenheinstetten stolz auf "seinen Abraham" aus dem Gasthaus "Zur Traube". Einen Fremden, den es zum erstenmal hierher auf den badischen Heuberg verschlägt, belehrt man zumindest in der "Traube" rasch, auf welch bedeutendem historischen Boden er da gerade weilt. Doch ob sie über ihren Abraham mehr wissen, die Mehrzahl der Kreenheinstetter, als daß er hier halt irgendwann geboren worden ist und dann im 17. Jahrhundert in Wien am Kaiserhof als Hofprediger Karriere gemacht hat, weil er mit seinen deftigen Predigten die eine Hälfte der Kirchenbesucher verschreckte, die andere aber begeisterte, sei einmal dahingestellt.

Doch wie berühmt ist er denn tatsächlich nun, dieser große Sohn - Wie bedeutend war er und was um alles in der Welt soll der heutige Kreenheinstetter noch von dieser Berühmtheit wissen? Die Frage, ob ein Mensch überhaupt als Berühmtheit zu gelten hat oder zumindest den Begriff "bekannt" für sich in Anspruch nehmen darf, muß sich zunächst an zwei Grundvoraussetzungen orientieren: erstens an dem Gebiet, in dem er sich aufgehalten hat und in dem er bekannt sein soll, und zweitens an der Zeit, in der er gelebt hat oder womöglich noch lebt. So unterscheiden sich die "Berühmtheiten" schon einmal ganz wesentlich untereinander und es gibt nur wenige, die wirklich über ihren Lebensraum und ihre Zeit hinaus für alle und jeden zum Begriff geworden sind, denken wir einmal beispielsweise an den "berühmten" Kaiser Karl den Großen, den schon spätestens in Griechenland kein Mensch mehr kennt. Berühmtheit ist also immer etwas Relatives, und so verhält es sich auch mit unserem Abraham, der allerdings immerhin im 17. Jahrhundert in Wien tatsächlich eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat und dank Friedrich Schiller sogar noch indirekt in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Aber davon später mehr.

Geboren wurde Johann Ulrich Megerle höchstwahrscheinlich am 2. Juli 1644 in Kreenheinstetten, es könnte aber auch ein, zwei oder drei Tage früher gewesen sein - jedenfalls ist im Kirchenbuch der Tauftag vermerkt "Sonntag, der 3. Juli 1644", und üblicherweise wurden die Kinder in diesen Zeiten unmittelbar nach ihrer Geburt auch schon getauft, aus den Kreenheinstetter Kirchenbüchern kann man ersehen, daß die Pfarrer hier immer besonders "schnell" waren, denn weit über die Hälfte aller Kinder sind bereits einen Tag nach ihrer Geburt getauft worden, deshalb also die Vermutung, daß Johann Ulrich Megerle am 2. Juli 1644 das Licht des Heubergs erblickt hat. Er war das achte Kind seiner Eltern (die im übrigen noch Leibeigene waren), insgesamt das drittjüngste von schließlich zehn Kindern und der vierte Junge. Als einziges Kind der Familie Megerle erhielt er zwei Vornamen, eine Tatsache, für die unter anderem der Taufpate Johann Jakob Braun verantwortlich ist, denn nach alter Sitte wurde ein Täufling mit dem Vornamen seines Paten bedacht. Nun gab es aber in Kreenheinstetten zu dieser Zeit bereits einen Verwandten namens Hans (Johann) Megerle und einer seiner Brüder hieß Jakob. Also halfen sich die Eltern dadurch aus der Klemme, daß man den ersten Namen des Paten, nämlich Johann, dem zweiten Vornamen Ulrich voranstellte, und so gab es nun in Kreenheinstetten also einen Johann Ulrich Megerle. Der zweite Vorname Ulrich orientierte sich an dem Tauftermin, der unmittelbar vor dem Fest des heiligen Ulrich lag.

Im Gasthaus "Traube", in dem der kleine Johann Ulrich aufwuchs, scheint es recht lebendig zugegangen zu sein, kein Wunder, bei zehn Kindern und einer Mutter, die als recht resolut und geschäftstüchtig galt, die "den Laden geschmissen hat", wie man heute sagen würde und offenbar ganz gern mal am Gasthaustisch einen Schwatz mit einem oder gleich mehreren Gästen gehalten hat. Ab 1651 besuchte Johann Ulrich die kleine Dorfschule in Kreenheinstetten, er muß ein hervorragender Schüler gewesen sein, denn kurz nachdem Balthasar Bücheler als Pfarrer nach Kreenheinstetten gekommen war, fiel ihm der Junge bereits im Religionsunterricht auf, und er versuchte im Jahr 1653, den begabten Johann Ulrich in die Schloßschule nach Meßkirch zu bringen, wo ja beispielsweise auch Latein gelehrt wurde. Doch die Aufnahme scheiterte, weil nur die Kinder der fürstenbergischen Beamten Zugang zu der Schule hatten. Kurz danach wurde ein neuer listiger Versuch unternommen, den kleinen Megerle doch auf die Lateinschule zu bekommen, und zwar arbeitete der Vetter des Vaters, Philipp Megerle als Oberstallmeister im Meßkircher Schloß. Der nahm den nunmehr zehnjährigen Johann Ulrich in seinen Haushalt auf und ermöglichte ihm so den Zugang auf die Schule (natürlich nicht ohne die womöglich augenzwinkernde Zustimmung der fürstlichen Herrschaft). An den Sonntagen kam der Lateinschüler ab und zu offenbar den zweistündigen Fußweg zurück in sein Heimatdorf und zeigte bei diesen Besuchen bereits die Anlagen zu seinem später entwickelten, außerordentlichen Talent: er versammelte die Dorfjugend um sich und predigte den Altersgenossen wort- und stimmgewaltig, ein Vorgang, der seinem Förderer, dem Pfarrer von Kreenheinstetten natürlich nicht verborgen blieb.

Von 1652 bis 1656 besuchte Johann Ulrich Megerle also die Schloßschule in Meßkirch; danach kam er ab Herbst 1656 ins Internat der Jesuitenschule nach Ingolstadt und befaßt sich hier - so formuliert es einer seiner Biografen - "mit den Problemen der Rhetorik, Logik, Mathematik, und Geschichte". Zustande kam dieser Wechsel nach Ingolstadt auf Betreiben des Pfarrers Bücheler und vor allem durch die Initiative des Onkels Abraham Megerle, des Komponisten und Domkapellmeisters von Salzburg, wegen seiner Verdienste um die Kirchenmusik im Jahr 1652 sogar von Kaiser Ferdinand III. geadelt, der nun seinen weiteren Lebensweg entscheidend bestimmte. Hier in Ingolstadt, einer der Hochburgen des deutschen Geisteslebens zur damaligen Zeit, wurde sein Talent ausgebaut und nach Kräften gefördert, beispielsweise durch die an Jesuitenschulen üblichen Vortrags- oder Redeturniere.

Im Herbst des Jahres 1659 wechselte er von Ingolstadt ans Gynmasium nach Salzburg, also an die frühere Wirkungsstätte seines Onkels und Förderers, kurze Zeit vorher war der Vater, Matthäus Megerle, gestorben - einige Tage vorher war Johann Ulrich nach Hause gerufen worden. Die Erbschaft von immerhin 150 Gulden vermachte er samt und sonders seinem Onkel, der ja durch die Förderung seines Studiums so "viel Unkosten an ihn gewendet" und mittlerweile Kanonikus am Stift in Altötting war. Drei Jahre später, also 1662, beendete er dort seine Ausbildung und trat als Novize ins Seminar des Augustiner-Barfüsserklosters in Mariabrunn ein. Vor diesem Schritt war es jedoch notwendig, aus der Leibeigenschaft entlassen zu werden, Johann Ulrich war ja als Kind leibeigener Eltern ebenfalls formell noch Leibeigener der fürstlichen Herrschaft in Meßkirch. 12 Gulden mußte er für die positive Bescheidung seines Antrags auf den Tisch legen, und als sich dann sogar der päpstliche Nuntius dafür verwendete, daß er als Novize in Mariabrunn aufgenommen wurde, stand seinem weiteren Lebensweg nichts mehr im Wege. Sein Onkel Abraham von Megerle setzte sich nun beim Abt des Klosters dafür ein, daß Johann Ulrich den Klosternamen Abraham annehmen konnte. Der Abt willigte ein und Johann Ulrich war schon aus Dankbarkeit seinem Onkel gegenüber ebenfalls einverstanden, der vom Abt verliehene Beiname a Sancta Clara leitet sich ab von der heiligen Clara, einer Schülerin von Franz von Assisi, die im Jahr 1255 heilig gesprochen wurde und deren Lebensweg dem jungen Mönch ein ewiges Beispiel sein sollte. Im Jahr 1663 legte Abraham sein Gelübde ab, fünf Jahre später empfing er die Priesterweihe und promovierte im selben Jahr.

Johann Ulrich Megerle aus Kreenheinstetten auf dem Heuberg war nun also Augustiner-Barfüßermönch, ein reformierter Zweig des alten Augustinerordens, der nach wesentlich strengeren Regeln zusammen lebte als die althergebrachten Augustinerklöster, wie beispielsweise Beuron, ganz in der Nähe seiner alten Heimat. Die Barfüßer-Augustiner hatten erst im Jahr 1631 die Zulassung bekommen, sich im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation niederzulassen und galten in der Folgezeit als ungemein dynamisch und einflußreich. Nachdem Abraham am 22. Dezember 1666 seine Primiz in der Augustiner-Hofkirche in Wien gefeiert hatte, predigte er in den nächsten Jahren in verschiedenen Kirchen der Hauptstadt, verfaßte im Jahr 1670 sein erstes kleines Buch im Druck, eine in Latein gehaltene Lobschrift auf seinen Onkel Abraham von Megerle.
Im selben Jahr verläßt er Wien und wird versetzt in den kleinen Wallfahrtsort Taxa bei Augsburg, wo er nun regelmäßig in der Wallfahrtskirche des dortigen Klosters predigt und eine erstaunliche Anzahl von Gläubigen bei seinen wortgewaltigen Predigten anzieht. Nur zwei Jahre später wird er, dessen Ruf sich natürlich bis ins Mutterkloster herumgesprochen hat, wieder zurückgeholt nach Mariabrunn, und schon ein Jahr später, also 1673, am 15. November, predigt er erstmals vor Kaiser Leopold und seinem Hofstaat. "Astnacus Austriacus" (übersetzt: "Himmelreichischer Österreicher"). Die Predigt kommt so gut an, daß sie wenig später schon gedruckt erscheint und weit verbreitet wird, kein Wunder, schließlich handelt es sich dabei um ein einziges Loblied auf Österreich und den Landespatron, den heiligen Leopold und seinen kaiserlichen Namensvetter. Sein zweiter spektakulärer Auftritt vor dem Kaiser findet zwei Jahre später statt. Zu Ehren des heiligen Joseph, den eine päpstliche Verordnung nun ebenfalls zum österreichischen Landespatron erklärt hat, sollen am 18. Mai Feierlichkeiten beginnen, und zwar zunächst bei den Augustiner Barfüssermönchen. Doch der bischöflichen Kanzlei und anderen am Hof der Habsburger ist der Einfluß und der Aufstieg Abrahams zu gewaltig geraten, deshalb beauftragte man kurzerhand einen anderen Prediger mit der Festpredigt. Doch Abraham gibt nicht klein bei und unterläuft die Demütigung für seinen Orden trickreich: bei Eröffnung der Feierlichkeiten übergibt er dem Kaiser seine Predigt ("Neuerwöhlte Paradeyß-Blum") kurzerhand fix und fertig gedruckt. Der Kaiser ist beeindruckt und lobt den Prediger für sein hervorragendes Werk persönlich. 1676 dann der nächste "große Wurf": eine Predigt "Soldaten Glory" auf die zu jener Zeit von den Franzosen ziemlich gebeutelte kaiserliche Armee. Zunächst beginnt er die Predigt für jene Zeiten provozierend, nämlich mit der Frage, ob man sich überhaupt einen heiligen Soldaten vorstellen könne, dann jedoch wendet er sich engagiert an den heiligen Georg, das Vorbild aller Soldaten: "Glorreicher Georgi Gelinde Gottes Grossen Grimmen, Getröste Genedig Gegenwärtige Geliebde, ... Gehe Gewaffnet Gegen Gemelden Gütigsten Gebieters Grausamen Gegentheil, Gibe Gleichnissige Gutthat Ganzem Geplagtem Germanien!". Eine aus heutiger Sicht ungewöhnliche Stilform, die jedoch beweist, wie vielseitig Abraham mit der Sprache umgegangen ist - und immerhin ist auch diese Predigt so erfolgreich, daß sie wenig später gedruckt verbreitet wird.

Im Jahr 1677 dann steigt Abraham auf der Karriereleiter gleich doppelt nach oben: erst wird er durch ein kaiserliches Diplom offiziell zum kaiserlichen Hofprediger ernannt, dann wird er auch noch Subprior, das heißt der zweitwichtigste Mönch in seinem Mutterkloster - und das im Alter von gerade 33 Jahren. Er ist aber auch allein schon von seinem Äußeren her eine imposante Erscheinung: als eine große, kräftige Gestalt mit einer hohen breiten Stirn, langer spitzer Nase und großem Kopf wird er beschrieben, rötliche Haare, später noch ein rötlicher Schnurbart - also bis auf den Bart und die rötlichen Haare schon ein solch ehrfurchtgebietender Zeitgenosse, wie der, der einem vom monumentalen Kreenheinstetter Abraham-Denkmal vor der Kirche entgegendonnert.

Die Antrittspredigt Abrahams als Hofprediger vom 3. Dezember 1677, die im Druck als "Die heilige Hof-Art" erscheint, hat es auch gleich in sich, wenn er darüber philosophiert, welche Schwierigkeiten ein solches Amt dem Amtsinhaber bereiten kann: "Hofbrein essen und das Maul verbrennen, seynd beisammen wie Hahn und Henne. "oder" Luzifer gebar Hoffart, die Hoffart aber gebar den Eigenwillen, der Eigenwillen gebar Ketzerey, die Ketzerey aber gebar Verstockung und Verzweiflung, ...". Immer wieder beschäftigt er sich mit dem Leben am Hof und den verlogenen Höflingen: "Der welcher sich nach Hof will wagen, muß haben einen Straußen Magen. Der gar viel harts verdaut, er muß viel grobe Brocken schlicken und sich in jeden Sattel schicken so er nicht hat entraut. Beynebens plagt ihn jederzeit - der Neid... Der Neid, der wird bey Hof geboren, dadurch wird Leib und Seel verlohrn. Das ist genug bekannt, wer sich nicht lassen will beneiden, muß Fürstenhöf und Höfling meiden. In allen Ort und Land, denn dort grassiert jederzeit - der Neid. "Im Jahr 1680 dann wird Abraham sogar für drei Jahre zum Prior seines Klosters gewählt. Auch während der in Wien im Jahr 1679 schrecklich wütenden Pest tritt Abraham als mutiger, unerschrockener Prediger genauso in Erscheinung, wie während der Belagerung Wiens durch die Türken "Auff Auff Ihr Christen" wo er sich stark für eine entschiedene Bekämpfung der Türken einsetzt.

Während der ganzen Jahre bis zu seinem Tod am 1. Dezember 1709 vergißt er jedoch nie seine Herkunft vom Heuberg, aus Kreenheinstetten, seine Heimat. So erwähnt er in seinen verschiedenen Werken immer wieder Orte und Sachverhalte aus seiner Kindheit, spricht in "Lösch Wien" vom Hegau, von Meßkirch, berichtet in "Etwas für Alle" von Donaueschingen mit seinem fürstenbergischen Schloß in der Landgrafschaft Baar, und in "Huy und Pfuy der Welt" nennt er eine selbsterfundene Figur den "Pomplonius Schnauzer von Schnerkingen" bei Meßkirch, oder er erinnert mit dem bereits oben zitierten Spruch"...der zwar unter einem Strohdach geboren, aber gleichwohl an den Tag gegeben, daß nicht alles Stroh im Kopf hat, was unter dem Strohdach geboren "an seine Geburt unter dem Strohdach der "Traube" von Kreenheinstetten. Oder er hat davon gesprochen, daß er selbst auch hochgeboren sei und zwar wirklich, denn seine Mutter habe schließlich im obersten Stock des Hauses unter dem Dach gewohnt und ihn dort zur Welt gebracht. Außerdem sei er ein wohlgeborener (Wollgeborener), weil sein Vater als Pferdedeckenmacher viel mit Wolle umgegangen sei und weiter: "Wohlgeboren seyn adelt nicht allein, auch ein Schaf ist wollgeboren."

Einmal im Jahr haben die in Wien ansässigen Schwaben (und als Schwaben galten auch die Leute vom Heuberg, badisch ist Kreenheinstetten ja schließlich erst zusammen mit Fürstenberg durch Napoleon über hundert Jahre später geworden) auch ein Schwabenfest veranstaltet, immer am ersten Julisonntag, also immer um den Termin des Namenstags des schwäbischen Landespatrons, des heiligen Ulrich herum, und Abraham a Sancta Clara gab dem Fest mit einer Predigt regelmäßig die kirchliche Weihe, er hat sogar die jährliche Andacht erst selbst angeregt. Daß seine Predigten immer eine erstaunliche Menge von Leuten in ihren Bann schlugen, ist bekannt und so verwundert es auch nicht, daß die jährlichen "Schwabenpredigten" in einer bis auf den letzten Platz gefüllten Hofkirche stattfanden. Daß er auch höchstwahrscheinlich "geschwabelt" hat, also schon durch seine Dialektanklang nie seine Herkunft hat verleugnen können (oder wollen), liegt ebenso auf der Hand, denn wer aus dem Deutschen Südwesten ist denn - und zwar heute genauso wie damals, tatsächlich des lupenreinen Hochdeutschen mächtig, wenn er seine ersten zwölf Lebensjahr auf dem Dorf verbracht hat?

Und noch ein Hinweis auf seine wohl offen zutage tretende schwäbische Sprechweise, er findet sich in der Beschreibung seiner Tätigkeit und seines Lebens acht Jahre nach seinem Tod durch den Prior von Taxa (also ebenfalls einem Augustinermönch), nämlich daß "er kein geschwätziger, sondern tiefsinniger beredtsamer Schwabe seye". Also - seine Heimat hat Abraham nie vergessen, obwohl er in den letzten dreißig Jahren seines Lebens Kreenheinstetten mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr gesehen hat, innerlich war er halt doch noch "einer vom Heuberg".

Daß er zeitlebens auch eine ausgeprägte soziale Ader vorwies, verwundert angesichts seiner Herkunft nicht, vielleicht war es auch gerade diese Tatsache, die ihm den Kontakt und die Bewunderung der kleinen Leute gebracht hat, seine Anziehungskraft auf das gemeine Volk, die Einfachheit seiner Sprache, der Sprache des Volks, die nur einer beherrschen konnte, der auch "einer von ihnen" war, denn er predigte ja oft irgendwo auf einem Platz mitten in Wien "vor einer unglaublichen Menge Volks". So setzt er sich immer wieder für soziale Gerechtigkeit ein, jeder Gescheite soll die Chance eines sozialen Aufstiegs erhalten, und besonders tritt er beispielsweise auch für die Dienstboten ein:"Viel gehen mit den Dienstboten um, wie die Apotheker mit den Blumen. Solche klauben sie ganz fleißig zusammen, legen sie in einen schönen Destilierkolben, sie brennens aus bis auf den letzten Tropfen, wann endlich kein Safft und Krafft mehr darinn, als dann wirft mans zum Haus hinaus auf den Mist. Nicht viel anderst verfährt man bisweilen mit einem Dienstboten. Viel Zeit und Jahr plagt sich der arme Tropf mit so harter Arbeit in einem Dienst, befleisst sich Tag und Nacht, wie er seines Herrn und Frauen Willen und Befehle kann vollziehen, arbeitet manchesmal daß ihm das Blut bey den Nägeln möchte ausbrechen, wann er endlichen an Stärcke und Kräfften abnimmt, wann er Kraftt- und Safftloß wird, da heißt es gar offt: vor der Thür ist draussen."

Besonders deftig geht er in "Judas der Ertzschelm" mit den Hofschranzen ins Gericht: "Auch, ach, ach, was wirst du für Wunderdinge zu Hof sehen, lauter Schneider - aber nur solche, die einen wollen übers Ohr hauen oder einem wollen die Ehr abschneiden, lauter Fischer, aber nur solche, die mit faulen Fischen umgehen, lauter Maler, aber nur solche, die einem was Blaues vor die Augen malen, ...du wirst am Hof sehen, daß alldort die Redlichkeit ist wie der Palmesel, der im Jahr nur einmal ans Licht komme, du wirst auch zu Hof sehen wenig Metall aber viel Erz, viel Erzdiebe, Erzschelme; Erzbetrüger. "Kein Wunder, daß der gute Abraham bei Hofe nicht nur Anhänger hatte, sondern auch erbitterte Gegner, doch bei allem, was er sagte und bei allen Versuchen, ihn nach einer seiner besonders giftigen Predigten jetzt aber wirklich von seinem Amt als Hofprediger zu entfernen, hielt der Kaiser, dem diese Seitenhiebe auf seine Hofschranzen offenbar ein diebisches Vergnügen bereitete, immer wieder schützend die Hand über den Augustinerpater. Und dieser selbst, gab durchaus gerne zu, daß er seine "Mucken hatte, aber na und?! Ich mag mich gar nicht entschuldigen, weil ich bisweilen Mucken und Grillen in meine Schrien menge, sondern mein Gott, als ein genauer Gemütserforscher weiß es, daß ich zu keinem anderen Ziel und End dergleichen Dinge hab eingemengt, als daß sich die jetzige, mehrstenteils scham- und zaumlose Welt zu dem Guten locke, welche sich nicht anders, als durch dergleichen Köder fangen lasset."

Immer wieder zieht er auch gegen die Modetorheiten und die Eitelkeiten der Leute zu Felde - zu jener Zeit, der Zeit des französischen "Sonnenkönigs" Ludwig XIV., als ja alles Französische schick war, "in" würde man heute sagen, und die französische Mode begierig an den deutschen und österreichischen Höfen kopiert wurde, so wettert er in "Wunderlicher Traum von einem großer Narrennest": daß die Damen mit ihrer neuen Haartracht in Wirklichkeit "calikutische Hennen seien, für welche die Madame Fontange (die Erfinderin dieser Haartracht) bei Jupiter das Recht erwirkt, daß sie ihren Schweif auf dem Kopfe tragen "und " Man findet sogar gescheite Hüt, mit denen närrische Köpf bedeckt sind. "Und weshalb ist er, der immer in der dunklen Mönchskutte daherkommt, denn so gegen die neue Mode? "Was große Summen schickt man nicht wegen der Mode nach Frankreich. Dadurch kommt das deutsche Gold und Silber aus dem Lande und unsere Feinde bekriegen uns mit unserem eigenen Geld. Wir verwundern uns, daß Frankreich in seinen Waffen so mächtig, wir betrachten aber nicht, daß Deutschland durch die für die Modi und französische Kleiderpracht ausgelegten Gelder dem unruhigen und ehrgeizigen König selbst unter die Arme greift um den Deutschen die Messer besser an die Kehle zu setzen. "Und dann erweist er sich als stramm Konservativer, auch wenn seine Predigten aus dem sozialen Blickwinkel heraus recht modern erscheinen, wenn er sagt: "Unsere deutschen Sitten dünken uns zu grob, zu plump, zu altväterlich, ob sie gleich die redlichsten und aufrichtigsten sind. ". Und gegen die Franzosen hat er allemal etwas, das beweist er, wenn er von den armen Kindern und deren Erziehung spricht: "Die Kinder kommen kaum aus der Wiege, so werden sie gleich geschmiert, geschnürt, geschmückt, gedrückt... sodann meldet sich auch schon der Sprechmeister an. Da müssen sie schon französisch plappern, wie die Papperln (die Papageien), schreien oui, oui, oui, gleich wie die Schwein."

Kein Wunder, daß sich hinter dem Namen dieses so kompromißlosen und gerade dadurch auch zu seiner Zeit ungemein erfolgreichen Autors und Predigers eine ganze Reihe anderer Schriftsteller versteckt haben, die ihren Namen nicht preisgeben konnten oder wollten. So sind nach Abrahams Tod eine Vielzahl von Schriften aufgetaucht, die zwar unter seinem Namen veröffentlicht worden sind, in Wirklichkeit aber, wie die neueren Forschungen ergeben haben, überhaupt nichts mit ihm zu tun hatten. Beispielsweise die Verleger haben sich so quasi auf die Erfolgsspur begeben und schamlos Plagiate in Auftrag gegeben, denn schon der Name Abraham a Sancta Clara als Autor garantierte zu jener Zeit einen guten Absatz. So sind zum Beispiel die Bände zwei und drei von "Etwas für Alle" Fälschungen, die dem Verleger aber nach Abrahams Tod, als sie auf den Markt kamen, einen ordentlichen Reibach eingebracht haben. Oder die Fortsetzung des "Narrennests", das "Centifolium Stultorum" und und und... Diese Versuche, mit Abrahams gutem Namen noch ein Geschäft zu machen, stammen vor allem von seinem früheren Nürnberger Verleger und Kupferstecher Christoph Weigel und dessen Sohn Martin Franz und dauerten bis mindestens 1738 - also 29 Jahre nach seinem Tod an.

Und auch schon zu seinen Lebzeiten rissen sich die Verlage offenbar regelrecht um Abrahams Veröffentlichungen, so gab es zahlreiche "Raubdrucke", gegen die sich die ordnungsgemäß beauftragten Verleger natürlich entschieden zur Wehr setzten, beispielsweise mit kaiserlichen Privilegien, die ihnen mal auf fünf, mal auf zehn Jahre die alleinigen Druckrechte für bestimmte Schriften von Abraham sichern sollten - natürlich nicht ohne dem Hof dann einige Belegexemplare kostenlos überlassen zu müssen. Während Abraham a Sancta Clara - seien wir ehrlich - heutzutage so gut wie vergessen ist, haben sich im 19. Jahrhundert immerhin noch zahlreiche Literaten mit ihm beschäftigt, so zum Beispiel Goethe, Schiller, Achim von Arnim, Clemens von Brentano und Joseph von Eichendorff. So hat Johann Wolfgang von Goethe, nachdem er in der Bibliothek ein Exemplar von Abrahams "Judas der Ertzschelm" entliehen hatte, dieses Buch gleich voller Begeisterung an Schiller geschickt, verbunden mit dem Hinweis, daraus lasse sich sicher etwas für Schillers in Arbeit befindliches Werk "Wallenstein" verwenden und tatsächlich: Schiller entlehnte einige Passagen für die in seinem Drama enthaltene Kapuzinerpredigt. Schiller bedankte sich bei Goethe mit dem Hinweis: "Dieser Pater Abraham ist ein prächtiges Original, vor dem man Respekt bekommen muß und es ist eine interessante und keineswegs leichte Aufgabe, es ihm gleichzutun in der Gescheidheit nach oder gar vorzutun."

Am 1. Dezember 1709 starb Abraham a Sancta Clara im Alter von 65 Jahren. Gestorben ist er genauso, wie er gelebt hat, unerschrocken, fest im Glauben und vorbereitet auf den Gang zu seinem Schöpfer. So ist in einem Nachruf eines Augugstiners über das Ende des großen Predigers zu lesen: "Nachdem er die Eitelkeit und Ohnmacht der menschlichen Torheit in dieser Welt hatte verspotten lernen, hat er lachend die Augen zugetan, welches besondere Ende wenig Menschen in der Welt widerfahren und kann man daraus erkennen, wie gesetzt sein Gemüte, und wie standhaftig er sich gegen den sonst entsetzlichen Tod gefasset. - Man hält es vor ein Wunder eines unerschrockenen Muts, daß als der Kaiserliche General Graf Rothkirch auf das Totbette kam, er einen Spiegel zu Füßen setzen ließ damit er sehen möchte, sagte er, ob er, der niemals eine Furcht gehabt, sich nun vor dem Tode fürchten würde. Pater Abraham weiß noch viel was Größeres in diesem Augenblick, welcher der erschröcklichste des ganzen Menschenlebens: er braucht keinen Spiegel, seine Herzhaftigkeit zu erfahren, das Lachen, womit er den Tod empfängt, ist andern ein Spiegel, womit er noch die letzte Lehre gibt: daß nach einer guten Vorbereitung der Tod keine Furcht, sondern lauter lachende Vergnügen erwecken kann. "

Danach ist er in Frieden mittags um 12 Uhr verschieden: "Unser erster Lebens Atem ist schon ein Seufzer zum Tod "sagt Abraham a Sancta Clara, der als Johann Ulrich Megerle vor dreihundertfünfzig Jahren in Kreenheinstetten auf dem Heuberg geboren worden ist und dessen Gedicht "Was ist der Mensch?" hier zum Abschluß noch wiedergegeben werden soll:

Der Mensch ist ein Gras, das nicht lang steht,
und ein Schatten, der bald vergeht.
Der Mensch ist ein Schäum, der bald abfließt
und ein Blum, die bald abschießt.
Der Mensch ist ein Rauch, der nicht lang währt,

und ein Feuer, das sich selbst verzehrt.
Der Mensch ist ein Blatt, das bald abfällt
und ein Ton, der bald verschallt.
Der Mensch ist ein Fluß, der bald abnimmt,
und ein Kerzen, die bald abrinnt.

Der Mensch ist ein Glas, das bald zerbricht,
und ein Traum, der haltet nicht.
Der Mensch ist ein Wachs, das bald erweicht,
und ein Rosen, die bald erbleicht.
 Der Mensch ist ein Fleisch, das alsbald stinkt,
und ein Schiff, das bald versinkt.
Der Mensch ist wankelmütig wie das Aprilwetter,
unbeständig wie die Rosenblätter.
Der Mensch ist ein kurzer Lautenklang,
ein rechter Miserere Gesang.
Der Mensch ist bald hübsch, bald rot,
auch bald darauf bleich und tot.
Der Mensch ist bald schön und reich,
auch bald ungefähr ein Totenreich.
Der Mensch ist alles Unglücks Ziel,
der Eitelkeit ein Possenspiel.
Ein Schauspiel der Verächtlichkeit
und ein Spiegel der Sterblichkeit.

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